Als Sänger in einem Chor, der von Ruedi Roth geleitetet wird, hatte ich natürlich schon lange einiges mitbekommen von diesem Musical. Und etliche Chormitglieder hatten es schon erlebt und waren durchwegs voll des Lobes. Meine Erwartungen waren also entsprechend hochgeschraubt. Wie ich es dann jedoch selbst erlebte, hat das alles bei Weitem übertroffen.
Ich versuche jeweils, die Texte in den Berichten auf dieser Website knapp zu halten. Das wird mir hier wohl nicht gelingen – eigentlich will ich das auch gar nicht.
Es gibt Liebesgeschichten vom Typus Romeo und Julia: Zwei, die sich nicht lieben dürfen, finden letztlich doch zusammen, wenn auch erst im Tod. Dann der Typus Herzkino: Es gibt die Lieben und Guten sowie die Bösen und Intriganten. Die Lieben werden sich finden – meist ist auch bald klar, wer mit wem - und die Bösen unterliegen und erhalten allenfalls ihre gerechte Strafe.
Im Musical Stilli Zärtlichkeite gibt es auch sehr unterschiedliche Charaktere, jedoch nicht wirklich böse. Hingegen zweifelt man bis zum Schluss, ob alle, die ein Happyend verdient hätten, auch
eines bekommen, und fragt sich, wie dieses denn aussehen könnte.
Die Story spielt in zwei Zeiträumen. Das Drehbuch blendet dazwischen hin und her. Die Geschichte erschliesst sich somit puzzleartig, aber schlüssig und gut nachvollziehbar, jedoch keinesfalls spannungsfrei. Mehrfach stehen grosse Fragezeichen im Raum, zum Teil über einen längeren Zeitraum – sogar über die Pause. Besonders eindrücklich war die beklemmende Stimmung im Raum, als der Führeraspirant beim Zusammenpacken seiner Sieben Sachen für die Bergführerprüfung feststellt, dass etwas Entscheidendes fehlt. Die Frage nach dem Warum und Wieso bewegt in diesem Moment wohl jeden im Saal.
Eine interessante Rolle im ganzen Stück spielt der Engel. Er verleiht dem Ganzen etwas Märchenhaftes, fast Kitschiges. Sein eigentlicher Part besteht jedoch vor allem darin, das Gewissen und die
Gedankenwelt der Protagonisten zu offenbaren, und manchmal auch mit guten Ratschlägen aufzuwarten. Die Metapher vom Gartentor hat mir dabei besonders gut gefallen.
Ein wesentlicher Bestandteil eines Musicals ist die Musik, und bei einem Jodelmusical natürlich in Form von Jodelgesang. Ruedi Roth hat dazu spezifische Kompositionen beigesteuert, z.B. das titelgebende Lied Stilli Zärtlichkeite, andererseits hat er auf bestehendes Volks- und Jodelliedgut zurückgegriffen und auf das Stück angepasst, zum Teil auch persifliert. Die Arrangements der instrumentalen Musik fügt sich perfekt in die Geschichte und die Szenerie ein und das hochkarätige Interpreten Quintett setzen das Ganze ebenso perfekt um.
Als Akteure auf der Bühne sind allesamt gut ausgebildete Jodelsänger im Einsatz. Ihre gesanglichen Darbietungen sind schlicht göttlich, sei es in Soli, Duetten, Terzetten oder grösseren Zusammensetzungen. Und sie singen natürlich nicht nur, sie spielen auch eine Rolle als Part der Geschichte. Und auch das machen sie sehr gut. Hin und wieder schimmert zwar durch, dass sie darin eigentlich nur Laien sind. Aber das tut dem Ganzen keinerlei Abbruch - im Gegenteil, denn hier offenbart sich dafür umso mehr Herzblut.
Das Musical spielt mit einem einzigen Bühnenbild. Mit einfachen, aber effektvoll eingesetzten Mitteln wird viel Poesie vermittelt. Die mehrfach eingesetzten Schmetterlinge erinnern zwar zuerst an ein Kindertheater, es ist jedoch sofort klar, dass das hier und jetzt genau das richtige ist. Etwas aufwendiger vielleicht die Szenerie mit den Glühwürmchen, aber ebenso wirkungsvoll (oder waren das keine Glühwürmchen?). Der Umgang mit dem Licht war ziemlich dezent, wirkungsvoll zwar, aber diskret und der jeweiligen Szenerie entsprechend.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Produktion die Erwartungen nicht nur von mir, sondern wohl der meisten Besucher deutlich übertroffen hat. Auch Nicht-Insider und Leute, die bis anhin
wenig Bezug zum Jodelgesang hatten, haben sich entsprechend geäussert. Allen Urhebern und Mitwirkenden ist dafür herzlich zu gratulieren und zu danken.
04. Februar 2018 von Beni Keller